Freitag, 27. Januar 2017

Das Fernsehen in der Bude

Ich laufe mit konzentriert zusammengekniffenen Augen durch die Bude. 
Morgen kommt das Fernsehen. Sie wollen mich beim Arbeiten filmen. Ich arbeite zuhause. 



Was muss weg? Welche Dinge sind zu persönlich? 
Wer meine Wohnung kennt, bricht jetzt in Gelächter aus. Es gibt keinen einzigen Quadratzentimeter, der nicht zutiefst persönlich ist. Selbst unterm Sofa liegen Zeugen dieses meines Lebens herum. Jeder Winkel, jedes Eckchen, jede Fläche, jedes von irgendwelchen Objekten gebildete Räumchen schreit meine, unsere Geschichte hinaus. 



Sogar die Luft riecht danach. Vorgestern gab es zum Beispiel Ente. Die war mir angebrutzelt. Ich benutze Handcreme mit Rosmarinduft und abends brennt eine Pommegranate-Kerze. 



Hier stehen unzählige Bücher, die mich prägten. Die Wände hängen voller Illustrationen. Überall stehen kleine Dinge, Skurriles und Erinnerungen, die das Leben anspülte. Eichhörnchenschädel, Mangafiguren, Steine, Muscheln, Ozeanplastik, Fotos, Schlangehäute und Haieier, Notizen, Bonbongläser, Kerzenhalter, CDs. Ein riesiges durchgesessenes Sofa mit vielen Kissen ist Arbeitsplatz, genauso wie der Esstisch, ein wuchtiges Stilmöbel mit farbspritzerübersäten Fritz Hansen-Stühlen drumherum. Ebenso angespült, abgestellt und gefunden wie der Rest. 



Keine Chance. Wenn der Kameramann ein gutes Auge hat, dann hat er mit drei, vier kurzen Schwenks über unser Wohnzimmer den Großteil meiner Seele offenbart.


Und dann:

Einst stand ich beinahe täglich vor der Kamera. Das ist aber schon eine ganze Weile her. Ich hatte trotzdem das Gefühl, wir konnten davon noch etwas profitieren. Dennoch, haben wir 11 Stunden gedreht. Für einen 6-minütigen Beitrag. Hauptsache Kultur, Hessischer Rundfunk. 
Großen Dank an die 6. Klassen des LGG und Frau Weiler, an die Buchhandlung am Markt in Darmstadt, die Centralstation Darmstadt und an das lustige Filmteam des HR. 
Ich habe viel gelacht. 
Manchmal auch heimlich.
Hier geht es zum Beitrag.


Warum zerstört ihr meine Welt?, fragt euer Kind

Stellt euch vor: euer Kind säße in seinem Zimmer und spielte vor sich hin. Da öffnete sich die Tür. Eine Horde grölender Erwachsener käme herein. Mit dreckigen Schuhen, tropfenden Fast Food-Behältnissen und brennenden Zigaretten. Sie lagerten in der Kuschelecke und beschmutzten das kleine gemütliche Bettchen. Sie zerknickten Bücher und hinterließen überall Fettflecken. Sie zerträten das Spielzeug. Rissen die aufgehängten Bilder von den Wänden und machten sich über sie lustig. Sie zerbrächen Stifte und zerknäulten das Bastelpapier. Sie köpften die Teddies und Puppen. Zum Schluß pinkelten sie noch in die Ecken, einer kackte gar auf den Teppich mit dem Einhorn. Und ihr wärt mitten unter ihnen.
Das Kind stünde, aus schreckgeweiteten Augen weinend, im Chaos. „Warum?“, fragte es. „Warum zerstört ihr mein Zimmer?“
Dieses Szenario ist nicht zu verstehen, sagt ihr. So etwas würdet ihr doch niemals tun.
Aber verlagern wir den Fokus, erweitern ihn und ändern die Frage: „Warum?“, fragte das Kind dann. „Warum zerstört ihr meine Welt?“
Und schon schlägt das schlechte Gewissen zu. Diese Frage verstehen wir, nicht wahr? Denn während wir im kleinen Maßstab alles für sie tun, zerstören wir gleichzeitig im Großen ihre Zukunft.
Ich weiß, das klingt sehr, sehr pathetisch. Aber wir leben in Zeiten des Pathos´. An dem muss man erst einmal vorbei, bis man zum Verstand vorgedrungen ist.
Pah, was masst die Herden sich da an?, mögt Ihr fragen. Und ich antworte euch: Ich bin ein denkender Mensch, Teil einer Gesellschaft, wohne in einer polis. Als dieser habe ich die Verantwortung, politisch zu handeln und der Gesellschaft zurückzugeben, was ich am besten kann. So wie jeder.
Bei mir ist es das Schreiben. Meistens für Kinder. Immer mit geheimer Mission. Ja, ich glaube tatsächlich, wem meine Bücher zu Herzen gehen, der ist ein guter Mensch.
Heute nun aber auch das. Worte an euch, an uns. Gedankenfetzen, die nicht gesagt zu haben, mich zerreißen würden. Passiert mir ja manchmal.
Wer hätte das vor einem (vor zwei, vor drei – mehr sind es nicht) Jahren gedacht? Diese Frage wird in letzter Zeit bis zum Erbrechen bemüßigt. Wir müssen sofort aufhören, sie zu stellen. Wir müssen akzeptieren, dass Dinge möglich sind, auch wenn wir sie nicht für möglich hielten. Denn niemand von uns ist ein Maß der Dinge. Wir sind alle nur Teil.
Neben uns und denen mit denen wir verkehren, gibt es unzählige andere. Viele von ihnen denken anders als wir. Vor allem fühlen sie anders als wir. Manchmal sind das die meisten.
Jeder empfindet sich selbst als den wichtigsten Menschen der Welt. Möchte gehört und ernst genommen werden. Alle haben eine Stimme. Wer am Rande steht oder in der Ecke, muss lauter sein, damit man ihn hört. Wer die Hand eines vom Rande nimmt, wird von dem geliebt werden. Rechte Parteien in Deutschland und Europa haben das getan, der wichtigste Präsident der westlichen Welt ebenfalls.
Leider sind das lügende Menschen, die widerwärtige, bösartige, an den Wahnsinn grenzende Ideen vertreten. Und inzwischen auch umsetzen können.
Diese Menschen sind nicht dumm, sie sind keine Idioten. Sie sind sehr klug. Sie haben den Dummen, den Ungebildeten, den Schwachen und Ängstlichen, den Rückwärtsgewandten, den Gierigen, den Geizigen, den Neidern, Egomanen und Verantwortungslosen die Hand gereicht.
Nun drückt der grölende Pöbel gegen die Zimmertür unserer Kinder. Es wird nicht genügen, von innen dagegen zu drücken.
Aber das ist nur ein Beispiel.
Verändern wir noch einmal den Fokus. Fliegen wir hoch ins All und schauen zurück. Auf diesen wunderbaren Planeten, den wir unsere Heimat nennen.
Und den wir mit aller Macht zerstören. Jeder von uns, jeden Tag.
Ob wir morgens das Wasser beim Zähneputzen laufen lassen oder länger als 3 Minuten duschen, obwohl wir längst sauber sind, und mit dem Auto fahren, weil´s bequemer ist; ob wir schnell noch einen Kaffee to go holen, etwas Sinnloses ausdrucken, etwas wegwerfen, das man noch hätte benutzen können; ob wir im Laden ein Schweinefilet nehmen, weil´s ein so günstiges Angebot ist, doch die Plastiktüte kaufen, weil man viel zu viel gekauft hat, zum Beispiel den Wein aus Südafrika und diesen Eine-Tasse-Kaffee-Automaten für Kapseln aus dem Angebotsdisplay, und dann später kam man noch an diesem hübschen Kleid vorbei und nein, man bräuchte es eigentlich nicht, aber es ist doch so schön und so preisgünstig.
Unzählige tägliche kleine Verstöße gegen die Welt, die wir uns verzeihen, die in der Hektik des Alltags auch eigentlich kaum auffallen.
Aber verzeiht die Welt sie auch?
Auch das ist nur ein Beispiel.
Es erscheint so unendlich groß, so unfassbar schwer, dieses Weltretten. Dabei stimmt das gar nicht. Da sind so viele kleine tägliche Schritte, die man gehen kann.
Und der erste wäre: nachdenken. Mal wirklich innehalten, einen Tag frei nehmen und ihn einfach mit Denken verplempern.
Was könnte ich tun?
Worauf sollte ich verzichten?
Was kann ich ändern?
Wo muss ich besser zuhören?
Und wann sollte ich den Mund aufmachen?

Sonntag, 22. Januar 2017

Die Mutter-Kolumne – Bescheidenheit ist eine Zier. Wirklich?

Kennt Ihr den Papalagi? Das bist Du, das seid Ihr und wir und ich betrachtet durch die erstaunten Augen eines fiktiven Südseehäuptlings. Alltäglichkeiten, die schon immer so waren, die man einfach so macht, die doch richtig sind, erscheinen in dessen Worten plötzlich gar nicht mehr so normal und logisch, allenfalls witzig oder absurd manchmal sogar falsch. So etwas mache ich jetzt auch. Jeden Monat in der eltern.family nehme ich mir eine Selbstverständlichkeit aus dem Leben mit Kindern vor und frage mich: Klar, alle machen das so, aber wieso eigentlich.


Das Söhnchen zeichnete nicht gern. Um das allen ganz klar zu machen, fabrizierte es ausschließlich liederlich hingeschmierte Beweise dafür. Eines Tages verlangte jedoch die Lehrerin als Hausaufgabe einen gezeichneten Tiger.
„Das kann ich nicht!“, schimpfte mein Sohn und radierte wütend ein Loch in die Seite. „Guck, Mama! Jetzt ist das Heft kaputt.“ So, als sei ich schuld.
Ich durchschaute das Problem. „Mein Schatz, du kannst zeichnen. Du schaust aber nicht richtig hin.“
Wir sahen gemeinsam auf das Tigerfoto, das als Vorlage diente. Ich zeigte dem zappligen Kerlchen Verhältnisse und Perspektiven. Langsam verflog die Ungeduld, seine Augen öffneten sich und Strich für Strich entstand unter seinen kleinen Händen ein Bleistifttiger im Sachkundeheft.
„Der Tiger ist toll!“, rief ich.
Glücklich nickte der Kleine. „Das ist der tollste Tiger der Welt, stimmt´s Mama?“
„Stimmt.“

Voller Stolz rannte er damit am nächsten Tag in die Schule. Zurück nach Hause kam er am Mittag jedoch in sehr gedrückter Stimmung.
„Die Nachbarin hat gesagt, der Tiger ist gar nicht der tollste der Welt. Weil Bescheidenheit eine Zier ist“, schrie mein Kind. „Auch wenn ich gar nicht weiß, was eine Zier überhaupt ist.“ Die Tränen, die ihm die Wangen hinunterliefen, waren solche der Wut und welche der Verzweiflung.
Ich schickte der Nachbarin einen telepathischen Fluch und versuchte, meinem Kleinen die neuentdeckte Liebe zum Stift und den Stolz auf sein Werk zurückzugeben. Das gelang leider nur kläglich.
„Vielleicht ist die Nachbarin traurig, weil sie nicht so schön zeichnen kann“, murmelte ich schließlich etwas unpädagogisch. „Solche Leute muss man trösten und man muss nett zu ihnen sein.“
„Auch wenn sie gemeine Sachen sagen?“, fragte er.
„Auch dann.“

Bald darauf fand ein Straßenfest statt. Unter anderem gab es ein Buffet voller selbstgebackener Kuchen. Die Nachbarin verkaufte die süßen Teilchen und erwähnte gern, dass der Schokoladenkuchen von ihr stamme.
„Davon möchte ich ein Stück“, raunte mein Kind.
Da trat jemand heran und lobte eben jenen Kuchen als besonders lecker.
Die Nachbarin winkte ab. „Nicht doch“, juchzte sie hoch erfreut. „So gut ist er mir dieses Mal gar nicht gelungen.“
Ich verschluckte einen Kommentar, ob ihrer gespielten Bescheidenheit. Der Tiger kam mir wieder in den Sinn. Ich verschluckte auch die kleine Wut, die er mitbrachte.
Inzwischen hatte mein Kind in sein Kuchenstück gebissen und krähte krümelspuckend: „Du hast recht, Frau Nachbarin. Der Kuchen ist dir nicht gut gelungen, und besonders lecker ist er auch nicht.“
Ich, erschrocken, und die Nachbarin, empört, starrten meinen Sohn an, dem gerade ein Brocken des Kuchenstücks herunterfiel.
„Das ist aber nicht so schlimm“, meinte er tröstend zur Nachbarin. „Darüber musst du nicht traurig sein.“
In dem Moment wuselte ein Hund zwischen unseren Beinen herum, fand das heruntergefallene Kuchenstück und verspeiste es.
„Guck!“, rief das Söhnchen freudestrahlend, „dem Hund schmeckt es.“

Freitag, 6. Januar 2017

Die Mutter-Kolumne – Du schaffst alles, wenn du nur willst. Wirklich?

Kennt Ihr den Papalagi? Das bist Du, das seid Ihr und wir und ich betrachtet durch die erstaunten Augen eines fiktiven Südseehäuptlings. Alltäglichkeiten, die schon immer so waren, die man einfach so macht, die doch richtig sind, erscheinen in dessen Worten plötzlich gar nicht mehr so normal und logisch, allenfalls witzig oder absurd manchmal sogar falsch. So etwas mache ich jetzt auch. Jeden Monat in der eltern.family nehme ich mir eine Selbstverständlichkeit aus dem Leben mit Kindern vor und frage mich: Klar, alle machen das so, aber wieso eigentlich.



„Ich kann das nicht!“, stöhnte der neunjährige Sproß und blickte wütend auf die losen Schnürsenkelenden. Die wollten einfach nicht in einer Schleife verbleiben. Nicht in einer, die er ungeschickt gebunden hatte.
„Probiere es doch noch einmal“, versuchte ich ihn mit samtweicher Stimme herauszufordern.
Doch das Kerlchen warf dem Bilderbuch Ich binde meine Schuhe allein einen verächtlichen Blick zu. „Ich habe es schon tausendmal probiert“, knurrte es.
Das stimmte nicht ganz. Aber drei ernsthafte Versuche werden es wohl gewesen sein.
„Wenn du es wirklich willst, dann schaffst du es auch“, wollte ich ihm dennoch Mut machen.
So hatte man es mir auch immer gesagt. Nicht nur in meinem Elternhaus, sondern auch im Kindergarten, in der Schule, im Studium, im Beruf. Überall. Selbst auf den Werbeplakaten, die die Straßen säumten, war es wieder und wieder zu lesen. Man musste es nur wollen. So könnte man alles Erdenkliche erreichen.
„Was schaffe ich dann?“, fragte der Kleine mit gerunzelter Stirn.
„Was du willst“, sagte ich.
„Wirklich alles?“
Ich nickte.
Er klemmte seine Zunge zwischen die Zähne und zog an den Schnürsenkelenden. Es machte plopp! und er hielt eines davon in der Hand.
„Du hast gesagt, ich muss es einfach nur WOLLEN“, schluchzte mein Sohn. Vorwurfsvoll hielt er den abgerissenen Senkel in meine Richtung. Tränen der Enttäuschung rannen über seine Wangen.
„Zum wirklichen Wollen gehört auch das sich Bemühen“, präzisierte ich etwas zu spät. „Vieles muss man erst einmal lernen. So wie Schnürsenkelbinden, Skateboardfahren oder Klavierspielen. Für andere Erfolge muss man sich körperlich sehr anstrengen, schuften und schwitzen.“
Der Steppke zog sein Näschen hoch. „So wie Omi und Opi. Als sie ihr Haus ganz allein gebaut haben.“
„Genau“, rief ich freudig. Mein wunderbares Kind schien etwas Wichtiges begriffen zu haben.
„Aber dann ist es niemals nur WOLLEN. Sondern immer auch lernen oder arbeiten. Oder sogar beides“, sagte das Söhnchen. Es warf mir einen ärgerlichen Blick und das Senkelende zu. „Du hast nicht die Wahrheit gesagt, Mama.“
Irritiert hielt ich inne. Hatte er recht und ich es mir ein wenig zu einfach gemacht? Was bedeutete zum Beispiel der Umkehrschluss? Hatte man demzufolge etwas nur nicht genug gewollt, wenn es einem misslang? War man also am Ende immer selbst schuld?
„Leon wollte ganz unbedingt eine Drei. Er hat wie verrückt gelernt. Ist aber doch eine Fünf geworden“, sagte da mein Kleiner, als hätte er meine Gedanken gelesen. „Und was ist mit den armen Leuten? Haben die nur nicht genug KEINEN Hunger gewollt? Und die Traurigen? Wollen die bloß nicht wirklich fröhlich sein?“
Erschrocken schüttelte ich den Kopf. „Das ist Unsinn, mein Schatz.“
„Genau!“ Er nickte mit dem Kopf und schleuderte die Schuhe von den Füßen. „Das habe ich mir schon gedacht.“
Dann huschte ein zufriedenes Grinsen über sein Gesicht. „Ich brauche solche Schuhe auch gar nicht, weißt du. Ich habe doch die mit dem Klettverschluss.“