Freitag, 27. Januar 2017

Warum zerstört ihr meine Welt?, fragt euer Kind

Stellt euch vor: euer Kind säße in seinem Zimmer und spielte vor sich hin. Da öffnete sich die Tür. Eine Horde grölender Erwachsener käme herein. Mit dreckigen Schuhen, tropfenden Fast Food-Behältnissen und brennenden Zigaretten. Sie lagerten in der Kuschelecke und beschmutzten das kleine gemütliche Bettchen. Sie zerknickten Bücher und hinterließen überall Fettflecken. Sie zerträten das Spielzeug. Rissen die aufgehängten Bilder von den Wänden und machten sich über sie lustig. Sie zerbrächen Stifte und zerknäulten das Bastelpapier. Sie köpften die Teddies und Puppen. Zum Schluß pinkelten sie noch in die Ecken, einer kackte gar auf den Teppich mit dem Einhorn. Und ihr wärt mitten unter ihnen.
Das Kind stünde, aus schreckgeweiteten Augen weinend, im Chaos. „Warum?“, fragte es. „Warum zerstört ihr mein Zimmer?“
Dieses Szenario ist nicht zu verstehen, sagt ihr. So etwas würdet ihr doch niemals tun.
Aber verlagern wir den Fokus, erweitern ihn und ändern die Frage: „Warum?“, fragte das Kind dann. „Warum zerstört ihr meine Welt?“
Und schon schlägt das schlechte Gewissen zu. Diese Frage verstehen wir, nicht wahr? Denn während wir im kleinen Maßstab alles für sie tun, zerstören wir gleichzeitig im Großen ihre Zukunft.
Ich weiß, das klingt sehr, sehr pathetisch. Aber wir leben in Zeiten des Pathos´. An dem muss man erst einmal vorbei, bis man zum Verstand vorgedrungen ist.
Pah, was masst die Herden sich da an?, mögt Ihr fragen. Und ich antworte euch: Ich bin ein denkender Mensch, Teil einer Gesellschaft, wohne in einer polis. Als dieser habe ich die Verantwortung, politisch zu handeln und der Gesellschaft zurückzugeben, was ich am besten kann. So wie jeder.
Bei mir ist es das Schreiben. Meistens für Kinder. Immer mit geheimer Mission. Ja, ich glaube tatsächlich, wem meine Bücher zu Herzen gehen, der ist ein guter Mensch.
Heute nun aber auch das. Worte an euch, an uns. Gedankenfetzen, die nicht gesagt zu haben, mich zerreißen würden. Passiert mir ja manchmal.
Wer hätte das vor einem (vor zwei, vor drei – mehr sind es nicht) Jahren gedacht? Diese Frage wird in letzter Zeit bis zum Erbrechen bemüßigt. Wir müssen sofort aufhören, sie zu stellen. Wir müssen akzeptieren, dass Dinge möglich sind, auch wenn wir sie nicht für möglich hielten. Denn niemand von uns ist ein Maß der Dinge. Wir sind alle nur Teil.
Neben uns und denen mit denen wir verkehren, gibt es unzählige andere. Viele von ihnen denken anders als wir. Vor allem fühlen sie anders als wir. Manchmal sind das die meisten.
Jeder empfindet sich selbst als den wichtigsten Menschen der Welt. Möchte gehört und ernst genommen werden. Alle haben eine Stimme. Wer am Rande steht oder in der Ecke, muss lauter sein, damit man ihn hört. Wer die Hand eines vom Rande nimmt, wird von dem geliebt werden. Rechte Parteien in Deutschland und Europa haben das getan, der wichtigste Präsident der westlichen Welt ebenfalls.
Leider sind das lügende Menschen, die widerwärtige, bösartige, an den Wahnsinn grenzende Ideen vertreten. Und inzwischen auch umsetzen können.
Diese Menschen sind nicht dumm, sie sind keine Idioten. Sie sind sehr klug. Sie haben den Dummen, den Ungebildeten, den Schwachen und Ängstlichen, den Rückwärtsgewandten, den Gierigen, den Geizigen, den Neidern, Egomanen und Verantwortungslosen die Hand gereicht.
Nun drückt der grölende Pöbel gegen die Zimmertür unserer Kinder. Es wird nicht genügen, von innen dagegen zu drücken.
Aber das ist nur ein Beispiel.
Verändern wir noch einmal den Fokus. Fliegen wir hoch ins All und schauen zurück. Auf diesen wunderbaren Planeten, den wir unsere Heimat nennen.
Und den wir mit aller Macht zerstören. Jeder von uns, jeden Tag.
Ob wir morgens das Wasser beim Zähneputzen laufen lassen oder länger als 3 Minuten duschen, obwohl wir längst sauber sind, und mit dem Auto fahren, weil´s bequemer ist; ob wir schnell noch einen Kaffee to go holen, etwas Sinnloses ausdrucken, etwas wegwerfen, das man noch hätte benutzen können; ob wir im Laden ein Schweinefilet nehmen, weil´s ein so günstiges Angebot ist, doch die Plastiktüte kaufen, weil man viel zu viel gekauft hat, zum Beispiel den Wein aus Südafrika und diesen Eine-Tasse-Kaffee-Automaten für Kapseln aus dem Angebotsdisplay, und dann später kam man noch an diesem hübschen Kleid vorbei und nein, man bräuchte es eigentlich nicht, aber es ist doch so schön und so preisgünstig.
Unzählige tägliche kleine Verstöße gegen die Welt, die wir uns verzeihen, die in der Hektik des Alltags auch eigentlich kaum auffallen.
Aber verzeiht die Welt sie auch?
Auch das ist nur ein Beispiel.
Es erscheint so unendlich groß, so unfassbar schwer, dieses Weltretten. Dabei stimmt das gar nicht. Da sind so viele kleine tägliche Schritte, die man gehen kann.
Und der erste wäre: nachdenken. Mal wirklich innehalten, einen Tag frei nehmen und ihn einfach mit Denken verplempern.
Was könnte ich tun?
Worauf sollte ich verzichten?
Was kann ich ändern?
Wo muss ich besser zuhören?
Und wann sollte ich den Mund aufmachen?

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