Ich mach´ das jetzt selbst! – Der weltweite Siegeszug der Do-It-Yourself-Kultur


(dieser Artikel ist in redigierter Form in der Oktober 2011-Ausgabe des P-Magazins erschienen)




Ich mach´ das jetzt selbst! – Der weltweite Siegeszug der Do-It-Yourself-Kultur

„Das kann ich auch“ – so warb einst Lotto Hessen. Ein Paradoxon, denn wer etwas kann, braucht keine Millionen. Doch der Slogan hat wörtlich vorweggenommen, was in den letzten Jahren losbrach – die „Mach-es-selbst“-Revolution. „Life Hacking“ ist der Prozess, in jeder Lebenslage kreative Problemlösungen zu suchen und auch zu finden. Dazu braucht man Fähigkeiten, Wissen (oder wenigstens einen Informationszugang) und Selbstbewusstsein.




Es gab Zeiten, da war es nicht selbstverständlich, sich selbst zu bedienen. Als in den 1950er Jahren die ersten Selbstbedienungs-Supermärkte vorgestellt wurden,  irritierten sie die Bevölkerung. Noch 1975 versuchte Aral mit den Worten „Selbsttanken kinderleicht“ zu überzeugen. Dabei war zu diesem Zeitpunkt schon eine zweite Welle der „Do-It-Yourself“-Bewegung aus Großbritannien durch die Bundesrepublik gerollt. Entstanden waren diese aus Nachkriegsmangel und -not und später aus der Suche nach praktischen Alternativen zu traditionellen Normen. Also werkelte der Mann im Haus, die Frau strickte, die Tochter zog Tomaten im Hinterhof, der Sohn bastelte Fanzines und war „dagegen“ – ein Movement zwar, aber noch kein Guerilla.
Der ostdeutsche Sozialismus erwartete einen festen improvisierenden D.I.Y.-Beitrag der Bevölkerung am Bruttosozialprodukt der DDR während westdeutsche Familien sich ab Ende der 1970er Jahre dem Konsumrausch hingaben. Bis Mitte 2000 (inzwischen) alle, von unzähligen Mega-Events und endloser Ego-Kultivierung erschöpft, der Wohlstandsfalle zu entkommen suchten. Schon der 11. September 2001 hatte viele verunsichert und schließlich raubte die Weltwirtschaftskrise 2008 den Menschen nicht nur das nötige Geld für die Spaßkultur sondern auch das Vertrauen in Industrie und Politik. Eine neue Ernsthaftigkeit brach sich Bahn und fand Wege in kulturellem, sozialem und institutionellem Engagement um schließlich in einer „Mit- und Selbstmach“-Revolution zu gipfeln. Auch dieses Magazin ist ein Ergebnis davon.




Doch nicht nur das P Magazin selber ist das D.I.Y.-Produkt einer Gruppe ambitionierter Kulturinteressierter und –schaffender. Wir lenken auch immer wieder den Fokus auf das, was im Sinne eines „Veränderung? - Just do it yourself!“ steht. In der Ausgabe 18 forderten wir Euch beispielsweise auf, Prachtstücke freizulassen und Darmstadt zur freien Bibliothek zu machen. Sechs Monate später schenkten wir Euch Munition für die P-Samung in Guerilla Gardening Manier (Ausgabe 23). Im Dezember 2010 begannen wir die „DA-It Yourself“-Reihe mit der Aufforderung, Darmstadt selber so zu gestalten, wie es Euch gefällt. Von Anfang an gibt es die Rubrik „Made in Darmstadt“ in diesem Heft und gleich zu Beginn eines jeden Monats animieren wir Euch, ein Stück Streetart oder etwas anderes Schönes im Lebensraum zu finden (Suche und Finde). Wir stellten Euch Kulturvereine wie „Das Zucker“ (Ausgabe 30) und „Das Blumen“ (Ausgabe 33) vor und berichteten von Initiativen und Aktionen vielerlei Art wie zum Beispiel dem Carrot Mob (Ausgabe 24). Denn die „Selbermach“- Bewegung geht weit über das klassische Heimwerken und Handarbeiten hinaus.




„Do It Yourself“ ist ein Lebensgefühl. Der Spaß und das Ausleben an und von Improvisation, Eigeninitiative und Kreativität sind Marker dieses Gefühls. In der Überwindung sozialer, ökonomischer und politischer Zwänge kann man seine eigenen Fähigkeiten und Möglichkeiten als Mensch und Bürger erleben. Ebenso wichtig ist die Erkenntnis, dass es in Krisenzeiten keinen Platz für konsumorientierte Egoisten gibt. Denn das sind die Zeiten des sozialen Kapitalismus (Create! - Sozialkapitalisten und handmade Movement auf dem Vormarsch,  Ausgabe 19).
Nach einer Umfrage der BAT Stiftung für Zukunftsfragen, erlebten 88% der Befragten in den letzten Jahren einen enormen Wertewandel. Sie suchen Sicherheiten und soziale Geborgenheit durch Gemeinsamkeit und einen Zusammenhalt im Wir-Gefühl. Das kann heimwerkelnd und bastelnd im Familienrahmen geschehen, in einer initiierten kulturellen oder kultivierenden Eroberung öffentlicher Räume, als Strick-, Garden-, Konsum- oder Nachhaltigkeits-Guerillo oder in anderen Communities. Denn auch das Web 2.0 war und ist ein Wegbereiter dieser  „Mach es selber“-Rebellion.




Zum einen ist der Einfluss des so genannten Guerilla-Marketings auf Plattformen  wie facebook und twitter unbestritten. Zumeist unabhängig werden hier Ideen und Produkte promotet. In riesigen Online-Märkten wie Etsy oder Dawanda können Vertreter der Handmade-Nation ihre handgemachten Dinge weltweit anbieten. Daneben vermitteln Websites wie wawerko.de oder instructables.com Anleitungen wirklich aller Art. Ob Bassdrums, Green Energy-Konzepte, die eigene Homepage, ein Kräuterbeet oder der beste Apfelkuchen der Welt – das Netz bietet zu allem einen Bauplan oder das richtige Rezept. Wie es lief, ob es funktionierte und was es kostete, können die Benutzer vor, inmitten oder nach dem Selbstbau online diskutieren. Während der Sprayer für all seine Fans seine neuesten Graffito in die Flickr-Galerie einstellt. Wer es lieber theoretisch mag oder für seine Aktivistengruppe einen informativen Protest-Flyer gestalten möchte, findet Fluten an Informationen, Wissen und alle Tools, die er dafür braucht.

Letztendlich erleben wir im digitalen Zeitalter mit der „Do it yourself“-Bewegung eine Renaissance handwerklicher und gemeinschaftlicher Kultur mit ihren traditionellen Werten, hervorgerufen durch die Sehnsucht des Einzelnen nach Sicherheit, Geborgenheit und Selbstbestimmtheit. (Antje Herden)


Infobox:

Noch bis zum 19. Februar 2012 wird im Museum für Kommunikation in Frankfurt am Main die Ausstellung „DO IT YOURSELF – Die Mitmach-Revolution“ gezeigt. In den fünf Bereichen Hobby, Arbeit, Gegenkulturen, Wissen und Medien stellt sie Geschichte und Gegenwart des Selbermachens vor.
Weitere Infos: www.diy-ausstellung.de

(Alle Fotos habe ich auf dieser Ausstellung geschossen.)